Julia Katharina Thiemann
„Sans domicile fixe“, der französische Begriff „ohne festen Wohnsitz“ beschreibt die Situation von momentan zehntausenden Obdachlosen in Frankreich, die Kriz Olbricht während seines Stipendiums im Winter 2014/2015 an der Cité Internationale des Arts in Paris beobachten konnte. In diesem Sinne ist auch das gefundene Foto des temporär und mobil vor dem Centre Pompidou aufgeschlagenen Zeltes, das diesen Katalog als Titelbild umfängt, zu verstehen. Die reale soziale Situation der Unsicherheit wie auch des kreativen Improvisierens und der mobilen Architektur werden von Olbricht im weiteren, übertragenen Sinne als Metapher der Ortslosigkeit, der Mobilität und des Unterwegs-Seins gedeutet und als Analogie seiner Arbeitsweise verstanden. Denn Zustände des Austarierens und der Unbeständigkeit in scheinbar massiven, vielleicht auf den ersten Blick sogar brachial anmutenden Gesten, die doch feingliedrig und poetisch Raum fassen, prägen die vielschichtigen künstlerischen Arbeiten von Kriz Olbricht. Hierbei ist das Dazwischen ein entscheidender Faktor. Genau austariert bewegt sich Olbricht zwischen den Gattungen der Malerei und Bildhauerei und stellt Zwischenräume her oder lässt sie sichtbar werden. Seine künstlerische Suche nach originärem Ausdruck geht von der Malerei aus und mäandert dabei in skulpturale Installationen, was in spannungsreichen Kombinationen und mutigen Setzungen eine ganz eigene Poetik birgt.
Painting, 2011
So spielen insbesondere Techniken der Kombination und der Verbindung in den Arbeiten von Kriz Olbricht eine entscheidende Rolle, was sich unter anderem in seinen Titeln widerspiegelt. Nicht zufällig heißen viele seiner kleinformatigen Arbeiten neben Paintings auch Sandwich oder Vesper und transportieren Ausdrücke des Einklemmens oder Einkeilens, der Verbindung von zwei Schichten, die durch Druck etwas in ihrer Mitte halten und rahmen. Das scheinbare Herausquellen oder auch Abstreichen des Materials erinnert dabei ebenso an Butterbrote wie an malerische Arbeitsvorgänge des Verstreichens von Farbe auf der Leinwand oder Palette. Verbindet Olbricht in dieser Werkreihe Baumaterialien in handlicher Größe zu Bildsetzungen, so greift er dabei beispielsweise zu per Hand frei zugeschnittenen Gipskartonplatten als Bildgrund, die er unter anderem mit Armierungsgewebe und Haftputz verbindet. Hierbei bilden die Eigenfarbigkeit der industriell hergestellten Materialien in ihrer oftmals komplementären Kombination und ihre genuine Kraft der materialinhärenten Eigenschaften der Verbindung und Verfugung die Grundparameter der Kompositionen, die insbesondere durch den pastosen Auftrag des Putzes eine erstaunlich malerische Wirkung entfalten und dabei offen hinterfragen, was ein Bild ausmacht und welchen Malereibegriff wir heute verfolgen. Dabei wirken die verwendeten Baumaterialien gerade in den Materialassemblagen ebenfalls als Bindeglied zwischen Architektur, Raumgestaltung und malerischen wie auch skulpturalen Setzungen.
Von diesen handlichen Formaten mit offensichtlichen Bildeigenschaften ausgehend bewegen sich die Arbeiten Kriz Olbrichts verstärkt in den Raum hinein. So sind ein Großteil seiner weiteren Arbeiten raumbezogen und konstituieren sich oftmals erst durch den Ort der Präsentation. Dabei fragt er nach den Grundeigenschaften der Malerei, erprobt ihre Grenzen und Möglichkeiten wie auch strukturellen Grundbedingungen. So werden die malerischen Gesten stets in ihrer Wirkung in und auf den umgebenden Raum gedacht. Eine besondere Form der Verbindung und Strategie der Arbeit mit vorgefundenen Raumstrukturen in malerischer Geste zeigt Kriz Olbrichts Arbeit Joint (2015). In der Galerie der Cité in Paris füllt er eine vorhandene Fuge zwischen einer gemauerten und einer mobilen, aber bereits bestehenden Wand mit leuchtend orangem Krepppapier aus. Die ungleichmäßige, orange Linie, die vertikal durch den Raum führt, mutet ebenso architektonisch wie malerisch an.
Joint, 2013
Die Arbeit Zinc (2015) aus Beton und Karton greift wiederum die Beobachtung und Ästhetik der Lebensrealität von Obdachlosen, die oftmals aufgefaltete Kartons und Pappen als Kälteschutz und Untergrund, zur Sicherung ihrer Habseligkeiten und als Sichtschutz verwenden, auf und deutet diese als Bildflächen, die scheinbar lapidar an der Wand lehnen und wiederum von großen Betonflächen gehalten werden, die wie überdimensionierte, rohe Sockel oder museale Abstandshalter im Raum stehen. In der Positionierung und Formfindung der Betonflächen greift Olbricht sensibel die Bodenstruktur und die Flächigkeit des Tresens der vormaligen Apotheke, die früher in dem Ausstellungsraum beheimatet war, auf. So gehen die Strukturen des Raumes mit den Strukturen der verwendeten Materialien eine besondere Verbindung ein, wie auch in Olbrichts Arbeit Miles II (2015), bei der er Hartschaumplatten unter anderem hinter einem im Raum befindlichen Heizkörper mithilfe von Polyurethanschaum direkt an die Wand klebt, sodass der Bauschaum als rosafarbene Masse unter allen Kanten der genormten mintgrünen Platten hervorquillt. Die Materialität der strukturierten Hartschaumplatten, ein üblicher Dämmschutz und Material des mobilen Messebaus aus verfestigtem Schaum, wirkt in Kombination mit dem unregelmäßig durch Druck geformten und dann ausgehärtetem Bauschaum in pastelligen Komplementärfarben ebenso radikal wie grotesk, wenn diese auf sauber geweißte Wände eines Ausstellungsinnenraumes gesetzt werden. In diesem Spannungsfeld entfaltet die Arbeit ihre Wirkung als reliefartige Bildfläche im Raum.
Zinc, 2015
Olbrichts Arbeiten, die sich zumeist aus Alltagsmaterialien und oftmals kaum beachteten Nutz- und Baustoffen speisen, reflektieren auf jeweils eigene Weise Definitionen, Zuschreibungen und Immanenzen von Kunst. Humorvoll und hintergründig werden die Grenzen und Möglichkeiten der Malerei erkundet und teilweise auch charmant unterlaufen. So kreierte Olbricht beispielsweise mit seiner Arbeit Bofli (2013) eine Art begehbares Bild auf dem Betonboden des Außengeländes einer ehemaligen Tankstelle, indem er gewöhnliche, quadratische, weiße Fliesen mit Fliesenkleber zu einem Rechteck auf dem Boden verklebt. An Bodenskulpturen der Minimal Art, wie von Carl André, ebenso erinnernd wie an typische öffentliche Toiletten oder Großküchen, verbindet Olbricht Alltag und Kunstdiskurs auf kraftvolle Weise. Dabei positioniert er die weißen Fliesen als temporäre Intervention quer über zwei vorhandene Schachtabdeckungen, die hierdurch funktionslos werden. Innen- und Außenraum, Nutzgegenstand und Funktionslosigkeit, Skulptur und Malerei, Bild und Erfahrung gehen in dieser Arbeit von Kriz Olbricht ein fragiles Gleichgewicht ein und laden zum Betreten der Bildfläche ein. Das Medium der Malerei wird ortsspezifisch in den Raum hinein erweitert und verbindet Architektur, Arbeit und Umraum.
Der gattungstypischen Abgeschlossenheit des Mediums Malerei versucht Kriz Olbricht mit seinen Arbeiten eine unbestimmte Offenheit abzuringen, wie sie Umberto Eco seit den 1960er Jahren in der von ihm in der Literatur, Musik und Kunst beobachteten Strömung des „Offenen Kunstwerks“ ausmachte. Diese Unbestimmtheit und Unabgeschlossenheit, die nun seit Jahrzehnten den Kunstbegriff auf unterschiedliche Weise prägt, kombiniert Kriz Olbricht kenntnisreich mit dem klassischen Bildbegriff der Malerei und erschafft so Hybride, die seine spezielle Handschrift tragen. Dabei praktiziert Olbricht das Prinzip der Verschiebung von malereispezifischen Fragen der Farbe, Fläche und des Bildraumes in alltagspraktische Sphären und von diesen im reziproken Rückbezug wiederum auf die Malerei und Bildhauerei in seinen Arbeiten, die eine fragende Suche und genaue Beobachtung eint.
Bofli, 2013
Der Versuch soziale Handlungen in der Kunst neu zu definieren und als genuin künstlerischen Ausdruck in den Mittelpunkt zu stellen, ist bei Kriz Olbrichts Arbeit Leger und Träger (2015) ebenfalls mit geradezu klassisch malerischen Fragen verbunden. Auf faszinierende wie auch verblüffend einfache Weise nutzt Kriz Olbricht ein bereits vorhandenes und permanent in Betrieb befindliches Funktionselement der gastgebenden Institution als Bildträger – eine mobile Garderobe, die hierbei noch nicht einmal zweckentfremdet, sondern nur räumlich verschoben wird. Weiterhin als Garderobe zu benutzen, steht sie nun im Ausstellungsraum und erwartet die Jacken, Mäntel und Taschen, die sie an ihren Haken tragen und die an ihr abgelegt werden können. Das Material dieser Arbeit ist dabei nicht nur die Garderobe an sich, sondern bildet sich aus den farbigen Mänteln, Mützen, Schals und Rucksäcken der Besucher, die temporär von diesen an der Garderobe präsentiert und angeordnet werden und ihr Erscheinungsbild dabei in kontinuierlicher Veränderung transformieren. Denkt man wiederum in malerischen Dimensionen, so bilden die variierenden Stofflichkeiten und Farben der Kleidungsstücke stetig wechselnde Kompositionen der künstlerischen Arbeit. Das Bild wird von den Rezipienten aktiviert. Materialqualitäten, Farbigkeit, Bildformate und auch Objekthaftigkeit stehen hier im Vordergrund von Olbrichts Betrachtung, obwohl er den Fokus und die Gestaltung scheinbar vollständig an die Rezipienten delegiert, die in dieser Arbeit zu Akteuren der Bildkomposition werden. Hierbei forciert er keine einheitsstiftenden sozialen Gefüge unter den Ausstellungsbesuchern, sondern bezieht vielmehr Alltagshandlungen als künstlerische Materialien in seine Präsentation mit ein. Diese Arbeit nimmt den Raum der Kunstinstitution auf soziale Weise auch in seiner Funktionalität künstlerisch in den Blick.
Leger und Träger, 2014
So wagt Kriz Olbricht eine humorvolle Umdeutung klassischer Definitionen der Malerei und öffnet diese in den Raum hinein, sowohl in den sozialen, den institutionellen Raum, wie auch in den architektonischen Raum, der die Ausstellung beherbergt und Olbrichts Arbeiten oft mitbestimmt. Olbricht greift immer wieder ortsspezifische Parameter auf, aus denen er seine Arbeiten kreiert, wobei die vorgefundenen Situationen in jeweils eigenen Hybriden aus malerischen, bildhauerischen und installativen Handlungsweisen gespiegelt werden. In seiner Praxis scheinen Fragen, was ein Bild, speziell eine Malerei, ausmacht ebenso wie Fragen nach der Definitionsmacht eines Ausstellungsraumes, seinen Funktionen und Parametern auf. Exemplarisch wird das Verhältnis von (Um-)Raum und künstlerischer Arbeit besonders in Olbrichts’ Arbeit Nizza (2014) deutlich, da der Ort hier untrennbarer Teil der Arbeit ist. So spannt Kriz Olbricht unter enormen Zugkräften ein graues Garagenschwingtor mit zwei orangefarbenen Zurrgurten von Außen durch zwei Fenster hindurch an die Fassade des Ausstellungsortes vor ein weiteres Fenster, das nun von Außen verdeckt ist. Von Innen gibt dieses Fenster den Blick auf das innenseitig gestrichene Garagentor frei und eröffnet somit ein Bild außerhalb des eigentlichen Ausstellungsraumes. So definiert Olbricht die ungestrichene Außenseite des Garagentores mit ihrem Knauf und Schloss als Rückseite des Bildes, während die Torinnenseite, die man aus dem Inneren des Raumes durch das Fenster hindurch sieht, die bemalte Bildvorderseite darstellt. Die Spannung dieser malerischen Geste ist zum Greifen nahe und bestimmt die Atmosphäre des Raumes, ohne den diese künstlerische Setzung nicht möglich wäre und die die Bildbetrachtung prägt.
Nizza, 2014
Durch Umnutzungen und Verschiebungen vorhandener Funktionselemente und Raumparameter mithilfe einfacher Materialien vorrangig aus dem Bauwesen hin zu einer Bildebene, erschafft Kriz Olbricht spannungsvolle künstlerische Setzungen. Der hohe Abstraktionsgrad kunstimmanenter Fragestellungen birgt dabei in seinen Arbeiten zugleich einen großen Alltagsbezug durch die Objekthaftigkeit und die Ortsspezifik seiner künstlerischen Setzungen. Ein permanentes Changieren zwischen unterschiedlichen Bezüglichkeiten und ein humorvolles, mit Spannungen spielendes und zugleich poetisch wirkendes Kombinieren disparater Materialien führt den Malereidiskurs in neue Dimensionen, die den Malerei- und Bildbegriff mit seinen Spezifika, Funktionalitäten und Möglichkeiten auf ganz eigene Weise interpretiert.
Text zum Katalog SDF, herausgegeben von Kriz Olbricht und dem Centre Culturel Franco-Allemand Karlsruhe (CCFA), 2016 anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Centre Culturel Franco–Allemand Karlsruhe (CCFA).