Annette Hoffmann
Es ist nicht gerade die schnellste Variante einer Geraden, doch das Stahlseil, das Kriz Olbricht vom Flur bis hin zu einem der Fenster im Kunsthaus L6 spannt, will auf schnellstem Weg eine solche werden. Es justiert sich selbst. Olbricht, der als Meisterschüler von Leni Hoffmann sein Studium an der Freiburger Außenstelle der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe abschloss, hat die äußere Wand durchbrochen und eine andere touchiert, um das über 20 Meter lange Seil am Fenster zu fixieren. Jetzt hält es eine ochsenblutrot gestrichene Schiene an der Mauer, die den Ausstellungsraum teilt. Der Zug, der auf dieser Schiene lastet, ist nicht gerade klein, unten steht sie einige Meter von der Wand ab. Kriz Olbricht arbeitet mit Materialien vom Baumarkt, doch sein Umgang mit diesen ist präzise; auch wenn der Durchbruch zwischen Flur und Innenraum etwas anderes erwarten lässt. Es waren die Widersprüche des Ausstellungsraumes – eine nachträglich eingezogene Wand, die eigentlich eine Reihe von Säulen verkleidet –, die ihn zur Arbeit Stag veranlasste und diese Paradoxien nun fortschreibt, etwa indem er nicht rostendes Aluminium mit einer Anti-Oxidationsfarbe übermalt.
Der Titel der gemeinsamen Ausstellung von Kriz Olbricht und Uta Pütz Full House ist ein bisschen irreführend, teilen sie doch eine eher minimalistische Sprache. Man kennt sich vom Studium und anfangs gehörten beide zum Team des Freiburger Projektraums plan b an. Da sie sich während ihrer Ausbildung und auch danach mit verwandten künstlerischen Fragen auseinander gesetzt haben, passt diese Konstellation und ergänzt sich. Denn auch in den Fotografien und Skulpturen der mittlerweile in Köln lebenden Künstlerin geht es um Linienführung und die Suche nach einem Gleichgewicht. Anders jedoch als Kriz Olbricht arbeitet Uta Pütz weniger mit Vorgefundenem als mit Gefundenem. So ist eingangs der Ausstellung ein Foto zu sehen, das während eines Stipendienaufenthalts in Helsinki entstanden war. Ein Stock hält einen türkisfarben bestrichenen Stab, der wiederum an einen Winkel angedockt ist. Lange Belichtungszeiten konnte sich Uta Pütz bei diesen Aufnahmen nicht leisten, oftmals fielen ihre Arrangements binnen weniger Minuten in sich zusammen. Ganz gegenwärtig jedoch tarieren ihre zerbrechlich wirkenden Bodenarbeiten im Kunsthaus L6 das Gleichgewicht aus. Da trifft ein rötlicher Besenstiel auf ein Industrierohr, das die Künstlerin, um es zu stabilisieren, gebogen hat und das auf einem Stecken zu liegen kommt, der wiederum auf einer Holzplatte steht.
Es sind geschlossene Systeme, die Kriz Olbricht und Uta Pütz in ihren Arbeiten entwickeln, zielgerichtet und optimal in der Ökonomie der Kräfte. Undenkbar, dass diese Skulpturen, selbst wenn sie auseinander fallen würden, eine Logik des Slapsticks entwickelten, wie man sie von Fischli/Weiss kennt. Dennoch ist da ein Moment des Humors, der die Fragilität von Zuständen und das Spiel des Zufalls abbildet oder offensichtliche Absurditäten aufdeckt. Die Garderobe, die vermutlich über eine Schule den Weg in das städtische Kunsthaus gefunden hat und ansonsten im Eingangsbereich hängt, ist so ein Beispiel. Für die Dauer der Ausstellung ist sie nun in einer Ecke des Ausstellungsraumes befestigt und spielt auf das Leger- und Trägersystem an, das Friedrich Kiesler für Peggy Guggenheims Galerie entworfen hat. Zwei Kapuzenjacken hängen an Leger und Träger, es könnten noch mehr werden.
Text zur Ausstellung Full House, Kunsthaus L6, Freiburg; erschienen im Kulturjoker, Freiburg, 2014.