Dietrich Roeschmann
Kriz Olbricht ist auf dem Sprung. Gerade erst ist der Freiburger aus Paris zurückgekehrt, wo er im Rahmen eines Atelierstipendiums des Landes Baden-Württemberg für fünf Monate in der Cité Internationale des Arts arbeitete, schon sitzt er wieder auf gepackten Koffern – das Ticket nach Genua in der Tasche. Auch dort wird er ein Gastatelier beziehen, diesmal auf Einladung der Basler Christoph-Merian-Stiftung. Die Tage zwischen den Umzügen nutzte der 30-Jährige nun dazu, im Freiburger Kunstraum Foth eine ebenso reduzierte wie kurzweilig verschachtelte Soloschau einzurichten.
Olbricht, der an der Karlsruher Akademie für Bildende Künste studiert hat und dort 2013 als Meisterschüler von Leni Hofmann abschloss, beschäftigt sich mit den Bedingungen von Räumen und der Belastbarkeit ihrer Grenzen. Im Kunsthaus L6, wo er im vergangenen Jahr ausstellte, reichte ihm ein simples Stahlseil, das er unter enormem Zug diagonal durch den Saal spannte, um so die Leere des Raumes in ein physisch erfahrbares Kraftfeld zu verwandeln. Im Kunstraum Foth reißt er nun die Wände ein – zumindest in der Imagination. Tatsächlich ignoriert er sie durch die suggestive Platzierung seiner Arbeiten. Ein flacher Betonsockel, der vom Boden des Galerieraums entlang der Längswand ins benachbarte Kabinett ragt, wirkt so wie ein funktionsloses Architekturfragment, das irgendwann einmal mit der massiven Wand überbaut wurde, dann wieder wie ein nachträglich in den Raum gekantetes Objekt, das brachial das Mauerwerk durchstößt. Einzelne Kartonstücke, die zwischen Sockel und Wand klemmen, lassen ahnen, dass es Olbricht dabei nicht allein um den spektakulären Kippeffekt zwischen Architektur und Skulptur geht. Korrespondieren die Maße des Sockels mit den am Boden noch vage erkennbaren Umrissen eines Apotheken-Tresens, der hier früher einmal stand, führen die einbetonierten Kartons an den Ort, an dem diese Schau ihren zweiten Ausgangspunkt hat – nach Paris. Während seines Aufenthalts an der Seine fielen dem Künstler überall in der Stadt die sauber hinter Zäunen oder Bänken deponierten Kartonstapel auf, aus denen Obdachlose nachts ihre provisorischen Behausungen falteten. In ähnlich minimalistischer Ordnung klemmen nun auch Olbrichts Kartons an der Wand. Die flachen Betonelemente, von denen sie gehalten werden, zwingen jedoch – ähnlich wie die Barrieren, die in Pariser Museen die Werke vor den Besuchern schützen sollen – zu einer Distanz, die Architektur auf subtile Weise als Instrument des Ausschlusses erfahrbar macht.
Zinc, 2015
Auch die Fotoserie Rear Window, die Kriz Olbricht hier erstmals zeigt, entwickelt ihre Spannung aus der eigentümlichen Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz. Im Zentrum steht der Blick in das Fenster eines fremden Zimmers, das er Tag für Tag von seinem Pariser Studio aus fotografierte. Bewusst unentschieden zwischen Voyeurismus und nüchterner Dokumentation, setzt diese Schwarz-Weiß-Serie eine Assoziationskette in Gang, die von Hitchcocks Thriller „Das Fenster zum Hof” und dessen poetischer Adaption durch die Deutschrap-Pioniere Stieber Twins bis zu Claude Monets 33 Variationen der Kathedrale von Rouen reicht. Weniger ist mehr? Das wäre untertrieben. Bei Kriz Olbricht platzt die Leere aus allen Nähten.
Text zur Ausstellung Kriz Olbricht Solo, Kunstraum Foth, Freiburg; erschienen in der Badischen Zeitung, Freiburg, 2015.